Vorwort


Von Ingeborg Bachmann kennen wir den Begriff der "zumutbaren Wahrheit". In der jüngsten Geschichte hat sich gezeigt, dass nicht jede Wahrheit jedem Menschen zumutbar erscheint. Manche lehnen sich gegen wahrheitsgetreue Berichterstattung auf, weil sie sich ihres eigenen Tuns schämen oder weil sie hoffen, durch Verschweigen und Vergessen allmählich in ein besseres Licht zu geraten.

Einige tun das durch disziplinarische Maßnahmen, andere durch das Einschalten der Gerichte. Letztere bedienen sich dabei oft zweier hoher, durch die friedliche Revolution wiedergewonnener Rechtsgüter: der Unabhängigkeit der Justiz und der Achtung vor der Selbstbestimmung des Menschen. Menschen, die zur Zeitder DDR-Diktatur von der Abhängigkeit der Justiz von der SED profitierten, versuchen nun, von der unabhängigen Justiz Gebrauch zu machen. Edmund Käbisch ist einer derjenigen, dem ein Stasi-Spitzel zumutete, mittels vom Gericht angeordneter Einstweiliger Verfügung den Namen des Spitzels aus seinen Veröffentlichungen zu entfernen. Warum? Weil dem ehemaligen Spitzel die Veröffentlichung einer Wahrheit nicht zumutbar erschien.

Es sind aber nicht nur ehemalige Spitzel, die sich ihre Wahrheiten nicht zumuten lassen wollen. Auch innerhalb der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens gibt es Kräfte, die bestimmte Wahrheiten, zum Beispiel solche über das oft zu DDR-Zeiten bestehende "gute Verhältnis zwischen Staat und Kirche" sich und ihren Gemeindegliedern nicht zumuten lassen wollen. Edmund Käbisch, ein Pfarrer mit renitenter Biografie, hat Erfahrungen mit Brüdern und Schwestern seiner Kirche machen müssen, die man salopp gesagt als Maulkorberlasse und Disziplinarverfahren bezeichnen möchte. Dies wird auch nicht durch die in diesem Buch abgedruckte Pressemitteilung des Landeskirchenamtes vom Januar 1995, in der disziplinarische Maßnahmen gegen Käbisch dementiert werden, widerlegt. Denn es ist doch für jedermann sichtbar, dass Edmund Käbisch für seine Kirche eine Zumutung ist.

Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich sprach den Autor der nun vorliegenden Schrift auf der Eröffnungsveranstaltung der Ausstellung "Die Bibel in den beiden Diktaturen des 20. ahrhunderts" am 5. Mai 2010 auf Burg Schönfels deutlich an: "Sehr geehrter Herr Dr. Käbisch, Sie selber haben sich nicht nur zu DDR-Zeiten als Christ und Pfarrer aufgebäumt, sondern auch jetzt mit dieser von Ihnen initiierten Ausstellung. Sie wollen keine Rache, sondern Aufklärung im Geiste der Wahrhaftigkeit." Tillich zitierte im Anschluss daran Ingeborg Bachmann: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar." Aufklärung hat noch nie den Menschen geschadet. Der vorliegenden Schrift wünsche ich, dass sie zu einer breiten Diskussion um Verschweigen und Aufklärung, um Anpassung und Aufsässigkeit, um Vormundschaftlichkeit und Selbstbestimmung beitragen möge.

Dr. Martin Böttger
(ehemaliger Leiter der BStU-Außenstelle Chemnitz)