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Das Fanal von Falkenstein.


In der Ausstellung "Die Bibel in den beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts" wird auch die Selbstverbrennung Rolf Günthers dokumentiert.


Dr. Käbisch - Fanal von Falkenstein - Pfarrer Rolf Günther

Pfarrer Rolf Günther

Was geschah am Sonntag, dem 17. September 1978?


Tathergang:

Pfarrer Günther hielt den Gottesdienst. Er ging nach der Schriftlesung in die Sakristei und überschüttete seinen Talar mit Benzin. Er kam mit zwei großen Milchkannen, die mit Benzin gefüllt waren, auf den Altarplatz zurück. Er schüttete den Inhalt der Kannen auf den Teppich und ging zum Altar und hielt beide Arme des mit Benzin getränkten Talars über die brennenden Altarkerzen. Er stand sofort in Flammen. Dabei wurde das Plakat "Wacht endlich auf!" entrollt. Günther sprang mit lautem Schrei in die Benzinpfütze auf dem Altarplatz. Eine Stichflamme zuckte auf, und der ganze Altarraum stand in einem Flammenmeer. Rettungsversuche scheiterten wegen der großen Hitzeentwicklung. Die Gottesdienstbesucher verließen fluchtartig die Kirche. Keine Person kam zu Schaden.
Dr. Käbisch - Fanal von Falkenstein - Plakat

Nach der Selbstverbrennung wurde das Plakat von den Untersuchungsorganen nachgestellt.

Dr. Käbisch - Fanal von Falkenstein - Sakristei

Die Sakristei nach dem Löschen des Brandes



Dr. Käbisch - Fanal von Falkenstein - Die Kirche in Falkenstein

Die Kirche in Falkenstein

Zwei konträre Bibelauslegungen

Günther besaß ein liberales und tolerantes Bibelverständnis. Seine Frömmigkeit war lebensnah und weltoffen, aber ohne geistlichen Tiefgang. Er konnte mit seiner Lebensart die Jugendlichen begeistern. Damit stand er im Widerspruch zu der Frömmigkeit der Volksmission, die von den beiden Pfarrkollegen Siegfried Gneuß und Helmut Hampel gewissenhaft gelebt und verkündigt wurde. In den Gemeindekreisen der Volksmission wurden die Geistesgaben Gottes wie Krankenheilung durch Handauflegen oder Gebet, Zungenreden, Prophetie, Befreiung von satanischen Mächten durch Exorzismus erlebt. Die Gemeinde der Volksmission wurde immer größer. Sie unterschieden zwischen den bekehrten und unbekehrten Christen. Auch Zwickauer reisten nach Falkenstein, denen die herkömmliche Gemeindefrömmigkeit nicht genügte. Diese Praktiken entsprachen nicht Günthers Bibelverständnis. Er hielt sie für sektiererisch und setzte sich unbeholfen zur Wehr. Auch die Volksmission brachte kein Verständnis für Günthers schlichte Bibelinterpretation und lockere Lebensweise auf. Es entwickelte sich ein unversöhnlicher Konflikt. Beide Seiten wurden intolerant und verfeindeten sich. Man meinte, Günther lebe nicht konsequent nach der Bibel und treibe eine falsche Bibelauslegung. Das Landeskirchenamt schenkte diesem Streit nicht die nötige Aufmerksamkeit. Es überprüfte nicht die Frömmigkeit und Praktiken der Volksmission durch ein Verfahren der Lehrzucht. Günther sah sich allein gelassen und in seinem Kampf mit der Volksmission unverstanden. Er meinte, in Falkenstein seien die "Zwickauer Propheten" auferstanden. Es gelang der Volksmission, einen Kirchenvorstandsbeschluss herbeizuführen. Am 4. September 1978 wählte die Mehrheit des Kirchenvorstandes Günther als Pfarrer wegen "Nichtgedeihlichkeit" ab. Das wurde zum Auslöser der Verzweiflungstat und der öffentlichen Selbstverbrennung. Günther war überzeugt, sich für die reine Lehre der Bibel aufopfern zu müssen. Er wollte ein sichtbares Zeichen setzen, dass nur er allein den richtigen Glauben habe. Mit dem Plakat "Wacht endlich auf!" wollte er die Volksmission und die Kirche zur Umkehr bringen.

Volksmission


Sie ist seit dem 17. Jahrhundert eine charismatische Erweckungsbewegung mit geistlicher Erneuerung. Nicht die Taufe, sondern die Beichte und Sündenvergebung führen zur Bekehrung und zum richtigen Christsein. So schenkt Gott seine Geistesgaben den Bekehrten. Es werden die biblischen Charismen erfahren wie Zungenreden, Krankenheilung, Weissagungen, Visionen, Ekstase... (1. Kor 12).

Die Stasi ermittelte zur Volksmission


Innerhalb der Volksmission kam es zu extremen Bibelauslegungen und Praktiken. Teufelsaustreibung: Austreibung des Satans bei Kranken und Alkoholikern durch Gebet. Hausreinigungsdienst: ebenfalls eine Art Exorzismus (Teufelsaustreibung); Gebäude, Wohnungen oder Zimmer, die dämonisch oder okkult behaftet sind, werden durch Gebet gereinigt z.B. wenn in einem Haus spiritistische Sitzungen abgehalten wurden oder wenn in einer Wohnung ein Parteisekretär früher wohnte, musste eine Reinigung von der widergöttlichen Lebensweise erfolgen. Umfassende Lösung: jeder Mensch kann sich nicht nur seine eigenen Sünden vergeben lassen, sondern auch die seiner Eltern, Großeltern und längst Verstorbener; die Voraussetzung ist, dass alles gebeichtet wird, auch wenn nur der vage Verdacht auf Hexerei oder Aberglaube bestünde.

Das Politikum der Selbstverbrennung


Für den Staat durfte es kein zweites Brüsewitz († 1976) geben. Die Stasi benutzte das Fanal, um langfristig einen Zersetzungs- und Differenzierungsprozess innerhalb der Kirche zu forcieren. Das geschah in Absprache mit der SED. Zuerst wurde im Krisenmanagement zwischen Staat und Kirchenleitung einvernehmlich vereinbart, die Verzweiflungstat als Brandstiftung und als eine Art "innerkirchlichen Betriebsunfall" zu deklarieren. Die Kirchenleitung nahm eine unsachgemäße Information vor und der Kirchenvorstandsbeschluss der "Nichtgedeihlichkeit" wurde verheimlicht. Ein böser Leumund entstand. Danach brachte die Stasi IM zum Einsatz. Sie hatten die Hintergründe der Selbstverbrennung aufzuklären. So wurden Informationen der Kirche zusammengetragen, gesammelt und analysiert. Die Schwachstellen und Zerwürfnisse der Kirche wurden erkannt und herausgefiltert. Darauf erstellte die Stasi Maßnahmenpläne, um zielgerichtet in die Kirche einzudringen.

Ziel der Stasi


- Kirche habe sich um religiöse und kultische Aufgaben zu kümmern;
- Kirche darf keine gesellschaftliche Verantwortung übernehmen;
- mit den progressiven (= staatskonformen) Kräften zu arbeiten
- und diese in Leitungsfunktionen zu lancieren;
- reaktionäre sowie feindlich-negative (= staatskritische) Kräfte zu bearbeiten
- und die Kirchenleitung zu bewegen, diese zu disziplinieren und zu isolieren;
- die Kirchenpolitik langfristig zu beeinflussen und in den Griff zu bekommen.

Vor der Tür der Kirche


1997 wollte der Freundeskreis zum 19. Todestag an die Verzweiflungstat erinnern. Er stellte vor die Kirchentür in Falkenstein Günthers Bild, eine Kerze und ein Blumengebinde. Nach wenigen Minuten waren die Gegenstände entfernt und im Müllcontainer entsorgt. Zum 20. Todestag wurde vorfristig die Grabstelle in Wittgensdorf eingeebnet und an dieser Stelle Gras gesät. Kein Ort des Gedenkens sollte bleiben. Gespräche werden verweigert. Günther liegt noch immer vor der Tür der Kirche.

Bericht aus der Auerbacher Zeitung "Freie Presse" vom 18. September 1997


Dr. Käbisch - Fanal von Falkenstein - Bericht aus der Auerbacher Zeitung Freie Presse

Dr. Käbisch - Fanal von Falkenstein - Günthers Grabstein in Wittgensdorf

Günthers Grabstein in Wittgensdorf
Das Grab wurde vor Beendigung der Liegezeit eingeebnet.

Beginn einer neuen Stasi-Methode


Offiziere im besonderen Einsatz (OibE) wurden als staatliche Referenten für Kirchenfragen eingesetzt. Sie führten die Verhandlungen und Gespräche mit der Kirchenleitung. Essen und Empfänge wurden organisiert. Die Referenten bedrängten die Kirchenleitung, kirchliche Mitarbeiter, die für den Staat zu kritisch waren, zu disziplinieren (z. B. Dr. Theo Lehmann, Bernd Albani, Eberhard Heiße, Christoph Wonneberger, Michael Wagner, Joachim Krause, Dr. Edmund Käbisch...).

Die Referenten hatten die staatskonformen Pfarrer zu steuern und zu lenken. Vertrauliche Gespräche wurden geführt. Dabei wurde das Gegenüber abgeschöpft und Informationen gewonnen. Mit Vergünstigungen und Bevorteilungen wurde gearbeitet. Das war ein Weg, mit dem der DDR-Staat auf die Kirche Einfluss nahm und Mitarbeiter abhängig machte. Kirche sollte nicht getreu nach der Bibel leben.

Rezension


Dr. Käbisch - Fanal von Falkenstein - Bericht idea Spekrtum 2007

Aus dem Vogtland Anzeiger

Die Selbstverbrennung von Rolf Günther

Der Pfarrer liegt noch vor der Tür der Kirche


ZWICKAU - Das "Fanal von Falkenstein", wie der frühere Zwickauer Dompfarrer Edmund Käbisch die Selbstverbrennung seines Kollegen Rolf Günther in seinem eben veröffentlichten Buch nennt, war dem Bezirksorgan der SED "Freie Presse" am 18. September 1978 gerade mal 32 Zeilen wert. Von Brandstiftung durch den Dienst habenden Pfarrer war da die Rede, der trotz des Einschreitens eines Mitgliedes des Kirchenvorstandes ums Leben kam und von hohem Sachschaden am Altar und in der Sakristei. Was wirklich an jenem Sonntag in der Kirche zum heiligen Kreuz geschah, hatten wohl auch die rund 300 Gottesdienstbesucher nicht verstanden. Bis heute ist die Verzweiflungstat des Kirchenmannes immer wieder Gesprächsthema, das für Gerüchte sorgt und das nicht nur im Vogtland. Käbisch beschreibt das in seinem Buch so: Günther war während des Gottesdienstes am 17. September 1978 nach der Schriftlesung in die Sakristei zurückgekehrt, hatte seinen Talar mit Benzin übergossen und ging mit zwei großen Milchkannen an der Hand wieder zum Altarplatz. Die Kannen leerte er vor den erstaunten Blicken der Kirchenbesucher über dem Teppich und hielt schließlich seine Arme, die in dem benzintriefenden Talar steckten über die brennenden Altarkerzen. Rolf Günther stand sofort in Flammen. Während er schreiend zu Boden stürzte wurde ein Plakat entrollt: "Wacht endlich auf!"

Monatelang hatte Edmund Käbisch in den Archiven geforscht. Seine Erkenntnis: Im Gegensatz zu Pfarrer Oskar Brüsewitz, der sich 1976 vor seiner Kirche in Zeitz aus Protest gegen das sozialistische Schulsystem verbrannte, lagen die Motive bei Rolf Günther in innerkirchlichen Konflikten. Sein liberales und tolerantes Bibelverständnis sowie seine lebensnahe Frömmigkeit und Weltoffenheit wurden zum Problem, denn damit stand er im Widerspruch zu seinen beiden Pfarrkollegen, die der Volksmission nahestanden und Geistesgaben Gottes wie Handauflegen, Prophetie und die Befreiung von satanischen Mächten durch Exorzismus durchaus für legitim hielten. Denen gelang es schließlich einen Beschluss des Kirchenvorstandes herbeizuführen, in dem Rolf Günther wegen "Nichtgedeilichkeit" abberufen wurde.

Doch die Selbstverbrennung sollte nicht nur innerhalb der Kirche für Aussehen sorgen, denn dort war man eher damit beschäftigt die Sache so wenig wie möglich nach außen dringen zu lassen. Auch SED und Stasi, die sich keinen zweiten Fall Brüsewitz leisten wollten, hatten die Probleme schnell erkannt und instrumentalisierten das Ereignis um ihrem Ziel die Kirche in der Bedeutungslosigkeit verschwinden zu lassen, ein Stück näher zu kommen. So tauchten schon bald anonyme Schriftstücke, die eine Klärung der Selbstverbrennung forderten, bei Kirchenführern auf, die diese wiederum verunsichern und zu einer Strafanzeige veranlassen sollte. Damit hatte die Stasi frei Hand tief in kirchliche Angelegenheiten einzudringen - und das auch noch legal. Danach begann eine regelrechte Zersetzungskampagne. Offiziere im besonderen Einsatz wurden als staatliche Referenten für Kirchenfragen eingesetzt und damit in die Kirche eingeschleust. Und hier taucht wieder ein altbekannter Name auf: IM "Sekretär", der in Wirklichkeit Manfred Stolpe heißt und später Ministerpräsident in Brandenburg und unter Gerhard Schröder sogar Bundesminister wurde. Diese Referenten bedrängten nun die Kirchenleitung, die Mitarbeiter die dem Staat zu kritisch erschienen zu disziplinieren. Mittelfristig sollte aus der einzigen demokratischen Einrichtung der DDR, der Kirche, eine Art "fünfte Kolonne" entstehen, die Basisgruppen keinen Raum bot, "feindlich negative" Pfarrer in Schach hielt und die anderen zwang ihren eigenen freien Willen abzulegen. Die Kirche sollte von innen heraus zersetzt werden. "Diese Denk- und Handlungsweise zählt nicht nur meiner Ansicht nach zu den Spätfolgen der einstigen Kirchenbearbeitung", sagte Käbisch. Könnte Pfarrer Rolf Günther, der in diesem Jahr 70 alt geworden wäre, noch leben? Diese in der anschließenden Diskussion gestellte Frage bejahte Käbisch. Der damalige Landesbischof Hempel, der Günther wohl als Gegengewicht zur Volksmission nach Falkenstein entsandt wurde, hätte ihn nach seinem Scheitern abberufen können, wahrscheinlich sogar müssen. Er tat es nicht. Was am Ende der Auslöser war die Verzweiflungstat auf dieser Art und an diesem Tag durchzuführen, kann auch Edmund Käbisch nicht aufklären. Freilich standen ihm auch nur die staatlichen Archive offen. Die der Kirche blieben ihm verschlossen. Auch das ist ein Zeichen dafür das die Kirche auch 17 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR und dem Ende der Stasi noch immer nicht an einer Aufarbeitung ihrer eigenen jüngsten Geschichte interessiert ist. So ist es auch kein Wunder, dass der Kranz den Käbisch und weitere Mitglieder des Freundeskreises Rolf Günther anlässlich des 19. Jahrestages der Selbstverbrennung, immerhin sieben Jahre nach der deutschen Einheit, schon wenige Minuten nach dem Ablegen wieder verschwunden waren und in einem Müllcontainer wieder gefunden wurde. Ein Jahr danach war auch diw Grabstelle Günthers nicht mehr da. Sie wurde vorfristig eingeebnet.

So soll die Buchvorstellung ausgerechnet symbolisch daran erinnern: "Pfarrer Günther liegt noch vor der Tür der Kirche". Diesen Ausspruch fand Käbisch bei seinen Recherchen in einem Brief an die Kirchenführung. Aufgeschrieben hat ihn Volker Kress. Als der später Landesbischof wurde, konnte er sich daran, so der Ex-Dompfarrer, nicht mehr erinnern.
FRANK DÖRFELT